Lenz im Libanon by Ostermaier Albert

Lenz im Libanon by Ostermaier Albert

Autor:Ostermaier, Albert [Ostermaier, Albert]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
veröffentlicht: 2015-04-28T16:00:00+00:00


Die Sicherheitsbeamten schwärmten aus, schwarze Schatten, die sich in alle Ecken verflüchtigten, das Areal absicherten, was nahezu unmöglich schien, denn der Eingang zum Registrierungscamp, über eine Rampe wie eine Tiefgarageneinfahrt erreichbar, war umgeben von Hochhäusern und direkt gegenüber einem Rohbauskelett, das sich für Heckenschützen eignete. Aber sicherlich hatte das unsichtbare Vorauskommando den Ort gesichert, die Risiken minimiert, das Chaos kartographiert nach Gefahrenzonen und Möglichkeiten. Lenz blickte verstohlen nach oben, sah sich in einem Film, sah, wie der Gewehrlauf in der Sonne blitzte, eine Handgranate in Zeitlupe durch die Luft flog wie ein Footballei zur Grundlinie. Er sah die Attentäter aus den Häusern stürmen, sah sie zwischen den Kindern und Flüchtlingen Waffen unter den Kleidern hervorholen und schießen. Er hörte die Salven, sah, wie sich alle auf den Boden warfen, schrien, Schusswechsel, Detonationen, Sirenen, blutüberströmte Gesichter, zerrissene weiße Hemden. Der Bürgerkrieg war hier, jetzt, in diesem Moment, er wütete in all den Köpfen, Herzen und Erinnerungen der Flüchtlinge. Und als hätte Lenz diese Erzählung, die über allem lag, gespürt, sah er in seinen Angstbildern, dass der Krieg nicht hinter der Grenze geblieben war, und schämte sich zugleich, dass er diese Angst mit Szenen amerikanischer Actionfilme verschmolz, die brutale Realität mit einer brutalen Orchestrierung und Ornamentierung der Realität des Kriegs, der zusammenschrumpft auf die Sage von Helden. Das Happy End des Davongekommenseins mit dem Guten im Gepäck und dem Bösen im Bodybag.

Der Außenminister betrat als Erster das Gebäude, wurde vor der Tür begrüßt von den Kindern und der UN-Leiterin des Registrierungscamps, einer Amerikanerin, die, wie Lenz sah, aufrechte Würde ausstrahlte. Ihre Augen der erste Zufluchtsort. Nach einer Flucht, die die Hölle floh. Aber die Hölle war immer schon dort, wo sie ankamen. Aber diese Frau versprach, wenn nicht die Rettung, wenn nicht das Ungeschehenmachen des nicht mehr Vergehenden, so doch eine Pause, ein Atemholen, eine Insel in der brandenden Flüchtlingswelle. So groß und sicher wie ihre ausgebreiteten Arme. Ihr Stolz war wie ein Zeichen, ihr könnt euer Haupt heben.

Lenz ließ den anderen den Vortritt, als dieser seltsame Körper der Delegation sich durch das Nadelöhr der Glastür zwängte, mit seinen versteckten Waffen, den Blitzlichtern, Rufen der Journalisten, den in die Luft und über die Köpfe gehaltenen Kameras, den Blöcken, Stiften, Handys, Funkgeräten, Anzügen, Krawattenknoten. Diese Kolonne eines fernen Landes, mit seinem Versprechen auf Schutz. Die Choreographie des Protokolls, Lauf- und Fluchtwege, letzte Informationen für den Minister, Übersetzungen. Neugierde, Programmpunkte, Gespräche, Lachen. Draußen Kinder aus der Stadt, ungläubig, was hier passiert. Sind das Flüchtlinge? Nein, oder sind wir es doch, fragte sich Lenz. Er hielt sich am Rand, im Windschatten, hörte Gesprächsfetzen, das Dirigat des Delegationskommandos, das Teilen der Flüsse. Lenz durchquerte als einer der Letzten die Enge, sah, als er sich noch einmal umblickte, Samir auf einen Steinhaufen klettern, wunderte sich, dass Kassir an den Wagen gelehnt rauchte und telefonierte, dass die beiden ihn allein ließen.

Als Lenz den Raum betrat, sah er in ausgebrannte Augen, sah er in Pupillen, die zu Asche zerfallen waren und die der Wind in der Netzhaut zu schwarzen Häufchen zusammentrieb.



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